Univ.Prof.Dr. Mihály MŐCSÉNYI

Barocke Gärten und Landschaften in Westungarn

Schriftenreihe des Instituts für Landschaftsplanung und Gartenkunst der Technischen Universität Wien, 1981.

 

1. Vorbemerkungen

Barocke Ensembles kommen nur dann zustande, wenn verschiedene Bedingungen erfüllt sind, und zwar:

1. Ein Bauherr, der seine politische und wirtschaftliche Macht auf repräsentative Weise zum Ausdruck bringen will.

2. Die Wirtschaftskraft und der Reichtum, die notwendig sind, einen Bau mit sehr hohen Kosten zu ermöglichen.

3. Friedliche Zustände, das heißt, das Baugelände darf längere Zeit kein Kriegsschauplatz sein.

4. Entsprechende landschaftliche Gegebenheiten zur Entfaltung der Repräsentation.

5. Das zum Bau und Betrieb des Ensembles nötige Baumaterial, die Arbeitskraft und Lieferungskapazität.

 

Die Ensembles können nach ihrer Situierung, ihrem Ausmaß und ihrer Bedeutung nach viererlei sein:

 

1. Palais in der Stadt mit Garten (villa urbana)

2. Palais oder Schloß in der Vorstadt mit Anlagen (villa suburbana)

3. Palais von einem Park umgeben (villa "rustica")

4. Barocklandschaft mit zwei oder mehr Palais in den Brennpunkten der Achsen oder Raumsysteme.

 

Für Barock-Ensembles kommen nach der Eigenart des Terrains drei Möglichkeiten in Frage:

 

1. Hügel- oder Berglage

2. Ebene Lage mit hohem Grundwasserstand oder offenen Wasserflächen

3. Ebene Lage mit tiefem Grundwasserstand ohne Wasserflächen an der Oberfläche

 

Den Zeitpunkt der Entstehung betreffend, sind zu unterscheiden:

 

1. vor 1690

2. zwischen 1690 und 1740

3. nach 1740 entstandene Ensembles

 

 

Díe Dauer der Entwickiung betreffend, gibt es

 

1. ohne vorangegangene Entwicklung in einem Zug entstandene Ensembles,

2. in mehreren Stufen durch eine kontinuierliche Entwicklung "gewachsene" Ensembles.

 

2. Zur Entwicklung im historischen Westungarn

Unter den angedeuteten Gegebenheiten kann der Bauherr - im Rahmen seiner Möglichkeiten - sein absolutistisches Streben durch eine mit Bauten gestaltete Umgebung zur Geltung bringen, wenn Frieden herrscht. In Mitteleuropa, im mittleren Abschnitt des Donauraumes, bestand seit etwa 1690 relative Ruhe. Die alte ungarische Hauptstadt Ofen (Buda) wurde 1696 befreit. Das ungarische Territorium - während der etwa 150-jährigen Türkenherrschaft - gliederte sich in drei Teile: der westliche und nördliche Teil gehörten als Königreich zur Monarchie, der mittlere Teil zum türkischen Reich, der östliche Teil (Siebenbürgen) bildete ein selbständiges Fürstentum.

Barocke Anlagen konnten - von diesen drei Landesteilen - vor allem im ungarischen Königreich entstehen. Hier ist anzumerken, daß von dem damaligen Königreich, dessen Hauptstadt Preßburg war, heute nur ein sehr kleiner Teil zu Ungarn gehört.

In Eisenstadt ließ der Palatin Paul ESTERHAZY die mittelalterliche Burg in der Zeit zwischen 1663 und 1672 von Carlo Martino CARLONE zu einem gewaltigen barocken Schloß umgestalten. Es ist anzunehmen, daß zu diesem Schloß damals ein Barockgarten gehörte. Dieser könnte - nach italienischer Art - am Hang gelegen sein, mit der Lage des Schlosses am Hangfuß, umgeben von einem schützenden Wassergraben. Mutmaßlich ist im Territorium des Königreiches in diesem frühen Zeitabschnitt keine andere bedeutende Barockanlage entstanden. Frankenau, Kittsee, Deutschkreuz, Lockenhaus, Kabold und noch einige andere Festungen oder Burgen bestanden schon zu dieser Zeit und hatten offenbar Barockgärten. Im Esterházy-Archiv ist mehrmals davon die Rede.

Die Kriege, welche am Ende des 17. Jahrhunderts in Mitteleuropa das Entstehen von großzügigen Barockanlagen verhinderten, hinterließen auch auf ungarischem Territorium ihre Auswirkungen. BOCSKAI (1604), BETHLEN (1618) und THÖKÖLY (1678) kämpften gegen die Habsburger; diese Kämpfe, die ergebnislos blieben, brachten große wirtschaftliche Nachteile mit sich.

Nach der Vertreibung der Türken - der mittlere Teil des Landes war praktisch unbewohnt - kam die wirtschaftliche Entwicklung nur sehr langsam in Gang; anfangs des 18. Jahrhunderts, als in Mitteleuropa relative Ruhe herrschte, brach in Ungarn der Freiheitskampf von Rákóczi aus. Die Schlachten und die kleinen, verstreuten Scharmützel, die Jahre hindurch andauerten, brachten das Land wieder an den Bettelstab. Zur wirtschaftlichen Belebung waren nach dem Frieden von Szatmár (1711) viele Jahre nötig.

Eine Ausnahme von der allgemeinen Lage bildete das Schloß von Prinz EUGEN von SAVOYEN in Ráckeve. das Johann Lukas von HILDEBRANDT 1702 baute. Die zum Bau nötigen Mittel hatte Prinz Eugen offenbar in Österreich aufgebracht. Das Schloß war zwar nicht gro0, aber ein hervorragendes architektonisches Werk von einer überwältigenden repräsentativen Wirkung. Vom Garten blieb nichts - auch kein Dokument - erhalten, aber die Größe des zum Schlosse gehörenden Territoriums deutet auf einen Garten in der Größenordnung einer "An-Lage" hin. Etwa seit 1715 begann im ganzen Land der bauliche Aufschwung und bis zu den Siebzigerjahren wurden - soweit bisher bekannt ist - rund 60 Barock- und Rokoko-Schloßgärten im Territorium des heutigen Ungarn gebaut. Vermutlich entstanden in der Slowakei, Siebenbürgen, Bácska, Bánát, Kroatien und Burgenland annähernd zweimal soviel Gärten.

Im historischen Westungarn, im Burgenland wurde am Anfang des 18. Jahrhunderts (1711; Johann Lukas von HILDEBRANDT) für die Familie HARRACH das Ensemble Halbthurn gebaut (rund 90 ha). In der Hauptstadt Ungarns während der türkischen Besatzung, in Preßburg, war - in der Zeit der Spätrenaissance - der Garten von Erzbischof György LIPPAY weltberühmt (1642-1666); er lag außerhalb der Stadt. Am Ende des Jahrhunderts ging er fast unter, aber in den Dreißigerjahren des 18. Jahrhunderts erlebte er als prunkvaller Barockgarten eine neue Glanzzeit. Mátyás BÉL beschrieb ihn 1735. Neben dem erzbischöflichen Garten kennen wir mehrere Barockgärten in den Vororten, zum Teil wiedergegeben von Sámuel-MIKOVINY (in den Dreißigerjahren des 18. Jahrhunderts). Der Bestand dieser Gärten ist durch die Zeichnungen von Sámuel MIKOVINY und die Beschreibungen von Mátyás BÉL bekannt (Mátyás BÉL stieß einen Freudenruf aus: "Paradisum Hungaries, qui Pisonium dixit, bene dixit!" "Wer Preßburg das Paradies Ungarns ge-

nannt hat, hat wahr gesprochen!") Die Gärten hat auch Gottfried von ROTENSTEIN beschrieben (die Beschreibung ist In Johann BERNOULLIS Reisebeschreibungen 1783-1784 in Berlin erschienen. Rotenstein begann seine Reisen 1763 und beendete sie 1783).

Weitere Gärten in Preßburg sind die von Illésházy, Erdödy, Rayger, Pálffy, Esterházy, später Aspermont und Grassalkovich. Innerhalb der Stadt gehörten zu den weniger bedeutsamen Palais wesentlich kleinere Gärten.

Seiner Lage und Wirkung nach waren das Königsschloß und sein Garten in Preßburg sehr bedeutend; Maria Theresia ließ es 1761-1765 umbauen, um es der Würde ihres Schwiegersohnes Albrecht von Sachsen-Teschen als Stadthalter entsprechend zu gestalten.

In Királyfalva (Csallóköz, Insel Schütt) in der heutigen Slowakei lag der Pálffy Garten, den ROTENSTEIN als den größten und schönsten Garten des Landes lobt. Die Familie hatte schon im 17. Jahrhundert hier ein Schloß, dieses war aber während des Rákóczi-Freiheitskampfes zur Gänze zugrundegangen. Mit dem Neubau des Schlosses und des Gartens begann man 1712. Den Garten entwarf der aus Billenburg stammende BRÜNNIG. Das zweite große Ensemble in Csallóköz (Schütt) ist Schloß und Garten der Grafen Esterházy in Cseklész. 1714 wurde mit dem Bau des Schlosses begonnen, es wurde 1720 fertiggestellt, der Garten viel später. Das Schloß stand auf einer Anhöhe, außer dem weit ausgedehnten Parterre und den Bosketts bestand ein mit Schneisen erschlossener, mit Alleen ausgestatteter parkartiger Wald, in welchem einheimische Tiere und solche aus aller Welt Gehalten wurden. Im Park gab es viele Bauten, Wasserbecken, Fontänen, Lusthäuser, Lauben und andere Zierelemente. ROTENSTEIN beschreibt das "Inventarium" des Parks sehr eingehend.

Neben den Ensembles von Királyfalva und Cseklész war Ivánka, von den Grafen GRASSALKOVICH gegründet, wesentlich kleiner. ROTENSTEIN besichtigte und beschrieb außer den genannten zwölf weitere Schlösser und Gärten in Csallóköz. Von diesen schätzte er Schloß und Garten des Baron JESZENAK in Majorháza sehr ein. Die Familie ließ den Garten in den Siebzigerjahren umgestalten; deswegen spricht ROTENSTEIN in der Beschreibung von "nach englischer Art" geschwungenen Wegen, sentirnentalen Inschriften und Gartenpartien.

Im Bereich südlich der Donau, im heutigen Ungarn (westlich der Raab) gab es bis zur Vertreibung der Türken, das heißt bis zum Frieden von Szatmár (1711) keine repräsentativen Anlagen; wohl gab es befestigte Wohnburgen kleineren und größeren Ausmaßes, aber zu diesen (so z.B. Sárvár, im 16. Jahrhundert entstanden) gehörte bis zu den Zwanzigerjahren des 18. Jahrhunderts nach heutiger Kenntnis kein Barockgarten; erst danach entstanden eine Reihe von Barockgärten. Zu dem aus dem Mittelalter stammenden Schloß von Körmend gehörte von 1720 bis 1794 ein Barockgarten. Zsennye hatte auch einen Barock-, später einen Landschaftsgarten. Bük, Hédervár, Zsira, Mosormagyaróvár besaßen ebenfalls Barockgärten.

Garf Anton SZÉCHENYI ließ 1754 in Nagycenk ein Schloß mit einem schönen Garten und eine monurnentale, heute noch bestehende Lindenallee anlegen. Die aus verschiedenen Zeiten stammenden Gartenpläne wurden durch die Forschungsarbeiten von Karoly ÖRSI bekannt. Eine Barockphase des Gartens wird zur Zeit unter der Leitung von Herrn ÖRSI rekonstruiert.

ROTENSTEIN - wohl niemand kannte den West- und Nordteil des Landes besser - stellt fest, daß es neben der fürstlichen Linie der Familie Esterházy noch zwei hochadelige Familien gab, deren Jahreseinkommen mehr als 300.000 fl betrug; vier Familien verfügten über mehr als 200.000 fl, weitere vier über mehr als 150.000 fl, zehn über zwischen 50.000 und 60.000 fl. Vom mittleren Adel hatten viele Familien 10.000 - 30.000 fl Jahreseinkünfte. Nikoldus der Prachtliebende ("G1änzende") Esterházy verfügte über ein Jahreseinkommen von mehr als 1,500.000 fl. Es ist anzunehmen, daß für den Bau eines barocken Gartens rund 50.000-150.000 fl. Jahreseinkommen, für eine "An-Lage" ein solches von 150.000-200.000 fl, für einen Park von 200.000-300.000 fl. und für eine barocke Landschaft von über 1,500.000 fl. notwendig waren.

 

3. Zur Klassifizierung

Ich meine, es wäre wünschenswert zu erklären, was ich unter Barockgarten, "An-Lage", Park bzw. barocker Landschaft verstehe.

Ein barocker Garten entsteht meistens in Verbindung mit einem innnerstädtischen Palais (villa urbana) und besteht im wesentlichen aus dem von DU PERAC ausgearbeiteten und von BOYCEAU vervollständigten Parterre, mit umgebenden - Raumeffekte hervorrufenden - geschnittenen Hecken, Terrassen und Lauben. Ein solcher Garten ist gemeinhin "einräumig" und seine größte F1ächenausdehnung beträgt einige ha (meistens nicht einmal ein ha).

Eine barocke "An-Lage" ist im allgemeinen "mehr-räumig" und liegt meistens außerhalb, aber nicht weit entfernt von der Stadt; ihre Ausdehnung beträgt durchschnittlich 5-25 ha. Bei der Bewertung eines solchen Werkes ist ein gewichtiger Gesichtspunkt, wie die "An-Lage" im Verhältnis zum Schloß liegt, z.B. ob die Längsachse ganz vertikal zur Hauptfassade liegt oder ob sie im Winkel abgeknickt ist. Es kommt öfter vor, daß der größere Teil der *An-Lage" im Verhältnis zum Hauptgebäude seitlich liegt (z.B. Eisenstadt). Von einem barocken Park kann man nur dann sprechen, wenn einer - aus einem Parterre entwickelten Anlage - ein Zier-Tiergarten angeschlossen ist und wenn dessen Vues mit dem Hauptgebäude in einer engen Verbindung stehen - in einer Komposition von sich unterordnendem Charakter -, das heißt, wenn das aus vielen Elementen bestehende, sich im Raum entfaltende Ensemble in ästhetischer Hinsicht qualitativ bedeutend ist. Die F1äche eines barocken Parkes ist meist größer als 50 ha.

Voraussetzung für das Entstehen einer barocken Landschaft ist, daß zwei oder mehr Schlösser oder andere signifikante Bauten solcherart ein Vue-System bilden, daß die - mehr als 10 km voneinander entfernten - Bauten durch gepflanzte Alleen und durch in Wälder geschnittene Schneisen in ein Landschaftsgefüge, das mit künstlerischen Ansprüchen konzipiert ist, gebracht werden.

 

4. Zur Entstehung des Barockensembles von Eszterháza im heutigen Fertöd

 

4.1. Die ererbten baulichen und landschaftlichen Gegebenheiten

Die fürstliche Linie der Familie Esterházy war im 17. Jahrhundert beim Erwerben von Besitztümern nicht sehr wählerisch. Da die Familienoberhäupter erwiesenermaßen der Dynastie der Habsburger treu ergeben waren. ergatterten und erheirateten sie einen bedeutenden Teil der Güter, Burgen und Schlösser des westlichen Grenzgebietes. Die Ausbildung des mächtigen Esterhazy-Fideicommiß hatte zweierlei Folgen: Seine Einkünfte verzettelten sich nicht auf die Anlage von kleineren Gütern, die wegen ihrer Größe weniger bedeutend gewesen wären, zum anderen konnte nan konzentriert ein hochwertiges Ensemble mit mächtigen Massen schaffen.

Der Gründer der "Dynastie" Esterházy war Nikolaus (1580-1645), der vom Habenichts bis zum Ende seines Lebens einer der reichsten und mächtigsten Männer des Landes wurde. Einer seiner Nachfolger war Paul Esterházy (1635-1713); er vermehrte mit verschiedenen Methoden das Vermögen, 1687 setzte er als Palatin das Recht der Thronfolge für die Habsburger in Ungarn nach einem Erbfolgegesetz in der Versammlung der ungarischen Landstände durch und krönte danach Joseph I. zum ungarischen König. Dafür - und nach Bezahlung von 27.000 fl - erhielt er von Kaiser Leopold I. den Rang eines Fürsten. Nach Paul wurde Mihály (1671-1721) Fürst, nach seinem Tode sein Bruder József (1688-1721), nach ihm dessen Sohn Anton Paul (1711-1762), nach dessen Tode sein Bruder Nikolaus (1714-1790). der spätere "Nikolaus der Prachtliebende"

In Süttör bestand schon im 16. Jahrhundert ein Gebäude, das für die Frau des Palatins als Wohnsitz geeignet war. Der Name des Waldes bei Süttör war ursprünglich "les" ("Lauer-Wald"); der Wald lag unmittelbar am Neusiedler See, höher als seine Umgebung, deswegen war die Hauptholzart die Eiche. Wo auf größeren zusammenhängenden F1ächen eine Eichelmast möglich ist, siedeln sich Wildscheine an, dort fühlt sich auch das Rotwild wohl. Die Nähe des Wassers und des Röhrichts mit vielen Wildvögeln wie Kranichen bot eine vorzügliche Gelegenheit zur Falkenbeize. Für den Jägerschmaus fehlten auch die Fische nicht. Die Umgebung konnte also ein richtiges Jägerparadies sein. Mit der Ausweitung der Jagd mit dem Gewehr wurden in die Wälder fächerförmig auseinandergehende Schneisen geschlagen; sie dienten einerseits zur Orientierung, andererseits zum leichten "Zur Strecke-Bringen" des Wildes. Zwischen den radial geprägten Raumkorridoren (Aussichten, Durchsichten, Vues) lagen in anderer Richtung schmälere Schneisen, sogenannte "Appell-Strecken", die zum Sammeln, zur Ordnung, aber auch zur Sicherheit der Treiber dienten. Den Weg des gehetzten Tieres regulierten hohen Tüchern, Rolltüchern, klirrenden Lärm erzeugende "Schreck-Schnüre". Zur Brunft der Hirsche wurden künstliche Blösen gerodet (Brunftplatz), zum Füttern der Tiere wurden Wildäcker im Walde gerodet, zum Tränken wurden Bäche angestaut. Dem Sammeln, den Mahlzeiten und der Ruhe der Jäger dienten Rendevous-Lichtungen. Am Rande der Lichtungen und entlang der Alleen dienten Durchgänge, die von Reisig und Unterwuchs gereinigt und mit der Haue abgeschert waren, dem Anpirschen und dem Verfolgen der Spur des Wildes. Die "Jagdlandschaft" auwaldartigen Charakters, die für die gesellschaftliche Jagd mit dem Gewehr hergerichtet wurde, unterschied sich wesentlich von der agrarischen Landschaft, weil sie ausgesprochen durch räumlich - nicht wie die Agrarlandschaft durch vorwiegend flächenhafte - Elemente gekennzeichnet war. Die durch die anthropomorphe Jagdlandschaft gebotenen Möglichkeiten einerseits und die Wünsche des Sonnenkönigs nach dem Ausdruck der Macht andererseits verband die Genialität Le Notres zum ersten Mal zu einem epochalen Kunstwerk. In Süttör war davon natürlich im 16. Jahrhundert keine Rede. In dem point de vue der Schneisen stand aber schon ein Gebäude; es konnte auch umgekehrt sein, das heißt, das Gebäude wurde so plaziert, daß man die vues in die gewünschten Richtungen auf bestimmte Punkte wie Kirchtürme ausrichten konnte. Die durch den Lauer-Wald geschlagene Hauptschneise lief genau auf den Kirchturm von St. Nikolaus (die Kirche ist gotisch, sie wurde also nicht nachträglich in den Blickpunkt des vue gebaut); die am anderen Ende der Schneise im rechten Winkel abgehende Schneise ist auf die Kirche auf dem Hügel von Széplak ausgerichtet. Am Kreuzungspunkt dieser beiden Richtungen (Schneisen) stand seit den Fünfzigerjahren des 16. Jahrhunderts ein Gebäude. Auf dieses Gebäude liefen die Nebenvues des "Gänsefußes" zu.

Um einen Barockpark anzulegen, standen also die wichtigsten Elemente potentiell zur Verfügung, und zwar mit optimalen Bedingungen. Die eigenartig anthropomorphe Jagdlandschaft wies hier und dort solche funktionelle und formelle Charakterzüge auf, welche die Herrscher und Hochadeligen des Barockzeitalters dazu bewegten, daß sie solche Landschaften mit bewußten ästhetischen Zielen zu einem monumentalen Ausdruck brachten, der ihren gesellschaftlichen und künstlerischen Bestrebungen entsprach. Die landschaftlichen Gegebenheiten, Größe und Proportion der durch Pflanzen gebildeten Räume, die Richtung der Raumkorridore, ihre Grundrißform, der Wachstumsrhythmus der verwendeten Pflanzen inspirierten einerseits und bestimmten andererseits das Entstehen und den Entwicklungsgang der Kunstwerke. Einheiten von Schloß und Park von bleibendem künstlerischen Wert entstanden nur dann, wenn die Schöpfer den Massen und Räumen von natürlichen und architektonischen Elementen einen solchen Einklang sicherten, daß die wesentlichen Charakterzüge sich sogar während eines Jahrhunderts ohne Pflegemaßnahnen nicht veränderten. Das Werk von Fertöd ist in dieser Hinsicht vieileicht einmalig in Europa. Im folgenden werden wir die Entwicklung der einzelnen Epochen des baulichen Geschehens anhand einer Analyse der immanenten - zwischen den Komponenten bestehenden - Gesetzmäßigkeiten untersuchen.

 

4.2 Die erste Bauperiode, erster Abschnitt

Das Gut von Süttör erwerbte Josef Esterhazy als Graf; nachdem er es von den Mariazeller Benediktinern, an die es verpfändet war, ausgelöst hatte, schließt er 1720 einen Vertrag mit dem Baumeister A.E.Martinelli, ein Jagdschloß mit 20 Zimmern und zwei Festsälen zu bauen; Martinelli verpflichtet sich, das Gebäude in einem Vierteljahr fertigzustellen; das ist ihm nur dadurch möglich, daß er das bestehende Haus umbaut. Josef wird 1721 Fürst und bestellt sofort zwei neue Lusthäuser anstelle des vorhandenen Stalles und der Scheune; dadurch bildet sich der Umriß des cour d' honneur. Stall und Scheune werden seitlich vor die Gartenfassade des Jagdschlosses gesetzt; damit beginnt die konkave architektonische Raumbildung in Richtung des Lauer-Waldes.

Josef lebte als Fürst nur zweieinhalb Manate, aber in dieser Zeit schuf er die Grundlage des späteren Ensembles. Süttör erbte nach dem Testament wieder der Zweitgeborene, in diesem Falle Nikolaus. Es scheint, daß in den Secundo-Geniti der Esterhazy mehr Ehrgeiz und Prunksucht als in den erstgeborenen Brüdern steckte. Den Zustand nach der ersten Bauperiode der Esterházy zeigen ein Grundriß und ein Gemälde. Auf beiden erscheint das gesamte Ensemble mit dem Wald. Das Gemälde zeigt ein sehr seltsames hochbarockes Parterre-, Raum- und Vue-system. Man kann nicht feststellen, wann das Bild entstanden ist; wenn es einen geplanten Zustand zeigen sollte, könnte es 1721 entstanden sein, wenn es den bestehenden Zustand zeigt, in den Fünfzigerjahren des 18. Jahrhunderts. Den Mitteilungen des letzten Archivars der Esterházy, János Hárich zufolge entstand der Garten zu diesem frühen Zeitpunkt und sein Schöpfer war Franz Zinner, fürstlicher Ingenieur, der Schöpfer des "auf italienische Art" gestalteten Schloßgartens in Eisenstadt.

Der zeitgenössische Grundriß und das Gemälde beweisen eindeutig, daß sowohl cour d'honneur als auch Parterre umzäunt waren. Den verfügbaren schriftlichen Unterlagen zufolge entstand der Zaun in mehreren Abschnitten. Solange das im point de vue stehende Gebäude nur der Jagd und dem vorübergehenden Aufenthalt dient, ist eine Einzäunung nicht nötig, denn es gibt keine Pflanzen, die man vor dem Wild schützen müßte. Eine Änderung tritt ein, als das Schloß ständig oder wenigstens den ganzen Sommer über bewohnt wird. In diesem Fall beansprucht der Bewohner eine geschmückte Umgebung, die geschützt werden muß. Da ein "hoher" Zaun nicht schön ist, werden an seiner Stelle oder vor ihm meistens Lauben errichtet, die aber zugleich eine raumbildende ästhetische Rolle spielen.

Wenn sich viele Personen und diese auch längere Zeit in einem Jagdschloß aufhalten und die Jagden öfter stattfinden, muß der ganze Park umzäunt werden, damit das Wild - die Nähe des Menschen fürchtend - nichl entflieht. Später müssen auch die einzelnen Teile des Wildparks voneinander getrennt werden, den einzelnen Wildarten, der Nutzung, der Aufzucht und der Art der Jagd entsprechend.

 

4.3. Erste Bauperiode, zweiter Abschnitt

Hárich irrt sich sicher, wenn er meint, daß das Parterre schon in den Zwanzigerjahren fertig war, denn spätere schriftliche Dokumente beweisen eindeutig, daß anfangs der Fünfzigerjahre, als Nikolaus noch als Graf mit der Rekonstruktion und der Entwicklung des Schlosses begann, das Parterre noch nicht so groß, wie auf dem Bild dargestellt. war; der Wald war nur etwa 60 m vom Schloß entfernt.

Die Stelle des Schlosses war, von den Schneisen des Waldes her oder vom Schloß aus in Richtung des Waldes gesehen, eindeutig, aber von anderen Richtungen betrachtet, "schwamm" es. Seine Gesamtmasse war in Verhältnis zur Ausdehnung der offenen Wiesenflächen nicht groß genug, um eine repräsentative, monumentale Wirkung hervorzurufen.

Barocke Ensembles müssen Spannung und Anregung zur Bewegung erwecken. Die natürlichen und architektonischen Elemente müssen ein dynamisches Gleichgewicht bilden, um eine repräsentative, monumentale Wirkung zu erzielen. Bedingung für die Spannung sind Gegensatz, Widerspruch, für den Bewegungsanreiz das Mitreißende der Räume und die Anziehungskraft der Massen. Ein dynamisches Gleichgewicht kommt dann zustande, wenn das Werk, das solche Eigenschaften aufweist, abgeschlossen und vollendet, aber zugleich entwicklungsfähfg ist. Die Kompositionsprinzipien und -methoden eines Park-Schloß-Ensembles sind vielfältiger als die eines Ensembles, das nur aus architektonischen oder technisch geprägten Elementen besteht. Seine Wirkung wird durch mehr Faktoren hervorgerufen und ist mehrschichtiger. Der barocke Architekt ist bestrebt, malerische. der Gartenarchitekt dagegen architektonische Werte zu erzielen. Das im Inneren der Bauten angewendete, perspektlvische Täuschen und das "Öffnen" der raumbegrenzenden Wände durch die Malerei, im Garten die naturwidrige Anwendung der Pflanze und die dem lebenden Material aufgezwungenen architektonischen Formen dienen dem Illusionismus und rufen den Eindruck einer scheinbaren Macht über Konstruktionen und Elemente hervor.

Im ersten Abschnitt der ersten Bauperiode von Süttör war die Beziehung, das heißt der Gegensatz zwischen Landschaft und JagdschloB, noch sehr einfach; im zweiten Abschnitt entstand ein - nach außen - konvexer - Baukörper aus Gebäuden und Mauern, nach innen ein - den Menschen bergender, gleichzeitig praktischen Zwecken dienender - konkaver architektonischer Raum, der cour d'honneur, welcher im ästhetischen Sinne einen wirkungsvollen Kontrast zum landschaftlichen Außenraum bildet. Der nächste Schritt zum Erregen von Spannung war die Anlage eines auf geometrischen Prinzipien beruhenden Blumenparterres vor der Fassade des Schlosses. Der Gegensatz wurde dadurch mehrschichtig. Zwischen das Gebäude von malerischer Wirkung und die Masse des Waldes von architektoníschem Wert spannte sich jetzt eine Flächendekoration aus gezüchteten Blumen in geometrischer Ordnung. Das Schloß "schwamm" nicht im Raum. Das Blumenparterre mußte mit einer Mauer umgeben werden, dabei entstand aus einer rationellen Konstruktion ein ästhetisches Element.

Die zwischen den Teileinheiten - dem mit feinen Motiven gestalteten Parterre mit zierlichem Dessin, dem Menschen und Blumen bergenden, starren Mauersystem, den architektonischen und landschaftlichen Räumen - bestehenden beunruhigenden Gegensätze reduzieren sich in der Gesamtkomposition zu einer disziplinierten Spannung. Die barocken Ensembles beunruhigen und disziplinieren zugleich.

Neben dem Gegensatzpaar Beunruhigen und Disziplinieren főrdert das Paar Abstoßen - Anziehen den Anreiz, ja Zwang zur Bewegung.

Die an den Pfeil, an den Speer, die sich auf uns richten, erinnernden konvexen Formen stoßen ab, die an das Umarmen, an offene Arme erinnernden konkaven Formen ziehen und locken an. Der Zentralbau, auf den die vues des Lauer-Waldes ausgerichtet sind. lockt mit seinem konkaven Raum an, sein vorspringender Mittelteil ist konvex. deswegen abstoßend. Das Vermindern der abstoßenden Wirkung, zugleich das Steigern des Gegensatzpaares sichert das fühlerartig vorgreifende Plazieren der Nebengebäude im Verhältnis zum Hauptbau.

Eine vollblütige barocke Komposition zwingt unablässig zur Bewegung; Bahnen und Richtungen des Bewegens sind jedoch im voraus sorgfältig geplant und festgelegt. Die spezifische Dynamik einer organischen Komposition bestimmt nicht nur die Bewegungsrichtungen seines Betrachters, sondern auch den Verlauf der eigenen Entwicklung. Die Dimensionen können wachsen, die Elemente des Ensembles können sich erweitern, aber so wie die Vergangenheit die Gegenwart bestimmt, bestimmt diese die Zukunft.

Die zwei Gebäude (Lusthäuser), vom Fürsten Josef begonnen, mußten nach seinem Tode (1721 bis 1725) noch fertiggestellt werden. Die letzte Rechnung der ersten Bauperiode stammt von 1732 (Dacharbeiten Simon Mödlhammer).

Paul Anton wurde 1734 großjährig, sein Bruder Nikolaus 1738. Bei der Annahme der "Pragmatica Sanctio" (1722/23 Preßburg) war kein Fürst Esterházy anwesend. Kaiser Karl starb 1740, die Staatskasse war leer, der Stand des Heeres hatte sich stark vermindert. Als Maria Theresia den Thron bestieg, war das Reich sehr schwach. Mit dem Ausspruch: "Was bedeutet schon eine Verpflichtung gegenüber einer günstigen Gelegenheit" stürzte König Friedrich II. auf Schlesien. Die ungarischen Stände boten 1741 mit dem Ausruf "Vitam et sanguinem" die Steuer ihrer Leibeigenen und das adelige Aufgebot (die Insurrektion) an; was ihr Vermögen betraf, galt der Spruch: "Sed avenam non" ("Aber keinen Hafer"). Im Erbfolgekrieg 1740-1748 und im Siebenjährigen Krieg 1756-1763 unterstützten die ungarischen Stände Maria Theresia schlagkräftig. An den Kriegen waren die Brüder Esterházy, vor allem Nikolaus, heldenmütig beteiligt. Beide waren hochdekorierte Generäle.

Paul Anton lebte sehr "sparsam", er ließ kein neues Schloß bauen; als er 1762 starb, befanden sich daher in der Schatzkammer des Fürstentums große Reserven.

 

4.4 Zweite Bauperiode

Nikolaus war nach seiner Großjährigkeit meist als Soldat im Ausland und war bestrebt, mit aus der Ferne gegebenen Anordnungen das Schloß Süttör in Ordnung zu halten. Zwischen den zwei Kriegen, hauptsächlich aber ab 1753 hielt er sich ziemlich oft in Süttör auf.

Zahlreiche Rechnungen belegen die Instandsetzung des Schlosses und des Gartens sowie den Bau von kostspieligen Laubensystemen. Neue Großbauten ließ er aber damals nicht anlegen, dazu fehlten ihm die Mittel.

Sein Ehrgeiz und seine Lust zur Repräsentation, auch der Wunsch, seine Macht über seine Umgebung zum Ausdruck zu bringen, bewegten ihn jedoch dazu, ein bis zu seiner Zeit kaum bekanntes Konzept zu verwirklichen. 1756 schließt er mit dem Baumeister Conrath Veith einen Vertrag, ein Schloß zu bauen. Das einstökkige Gebäude sollte 38 m lang und 12 m breit werden und zwei Festsäle enthalten. Die Dauer des Baues, einschließlich des Marmorbelages, der Stuckarbeiten, des Setzens der Kamine usw. betrug vier Monate. Es scheint, daß es sich auch in diesem Falle um den Umbau eines alten Gebäudes handelte, das auf einem Hügel stand, der zum Wald von Röjtök (Besitz von St. Nikolaus) gehörte. Das Gebäude hieß in den schriftlichen Dokumenten Lauerburg oder Monbijou. Zur Lauerburg gehörte ein Vue-System. Fürst Nikolaus verband dieses mit dem von Süttör. Die Kirchen und die bedeutenden Bauten der Ortschaften (Szerdahely, Szentmiklós, Lesvár, Csapod, Göbös, Petöháza, Széplak, Süttör, Sarród) bildeten die Knotenpunkte der Vue-Systeme oder fungierten als points de vue der Aussichtsrichtungen.

Das Konzept des Fürsten Nikolaus Esterházy faßte Schloß, Park, Felder, Wälder, Wiesen, Dörfer, Kirchen und mit diesen zusammen seine Untertanen in ein einziges architektonisches System, dessen Zentrum sein eigenes Wohngemach, genauer er selbst war. Die Idee des Absolutismus wurde - mit einer solchen bewußten künstlerischen Komposition - in Europa vielleicht nirgends so großzügig und eindeutig zum Ausdruck gebracht.

Die Ausbildung des barocken Landschaftsgefüges kann man als die zweite Bauperiode des gesamten Ensembles betrachten. Der Gedanke wurde 1756 oder einige Jahre vorher geboren, die Ausführung dauerte aber sehr lange. Die Felder. über die die Alleen liefen, waren nicht alle im Besitz der Esterházy. Das Erwerben der Flächen dauerte Jahrzehnte. Die Karten der josephinischen Landesaufnahme von 1784 zeigen aber eindeutig das Vue-System.

 

4.5 Dritte Bauperiode

1762, am 8. März, stirbt der Fürst Anton Paul unerwartet, damit wird Nikolaus Majoratsherr. Er übersiedelt nicht in das zentrale Schloß der Familie nach Eisenstadt, vielleicht deswegen, weil dessen Lage zur Entfaltung einer barocken Repräsentation nicht geeignet war, es fehlten dazu die landschaftlichen Gegebenheiten.

In Süttör stand das barocke Landschaftsgefüge fertig zur Verfügung, man mußte nur für eine entsprechende bauliche Masse eines Schlosses sorgen, was aber in der Gesamtkomposition nur eine zweitrangige Rolle spielte. Bis zum Baubeginn der beiden Verbindungsflügel des neuen Schlosses verging beinahe ein Jahr. Die Materialaufstellung für die zwei neuen F1ügel des Schlosses (vom hochfürstlichen Baumeister Johann Ferdinand Mödlhammer) weist eine große Menge von Baustoffen aus, obwohl es sich nur um einen Teil des neuen Schlosses handelt. In der Umgebung von Süttör gab es keine entsprechenden Ziegelbrennereien, die Wege waren schlecht, die Untertanen hatten nicht genügend Wagen und Zugtiere, und in den Meierhöfen gab es nicht genug davon.

Der neue Fürst organisierte eine Baukommission mit den Verwaltern der Besitzungen in der Umgebung (etwa fünf davon aus dem heutigen Burgenland), der Verantwortliche war der Verwalter von Kapuvár. Die Aufgaben dieser dritten Bauperiode waren in einem sogenannten "Generalplan" festgelegt, dessen Verfasser leider unbekannt ist. Es handelt sich nicht um den Plan eines Gebäudes, sondern um den eines ganzen Ensembles. Die gualität der verschiedenen Elemente der Koupositon - das Zentralgebäude, die Nebengebäude, die Bepflanzung, die Schutzmauern, die Laubensysteme, der Park - ist sehr unterschiedlich, aber die Gesamtheit (Komplexität) der Elemente ist eine hochbarocke Konzeption von hohem Niveau, die schon auf den ersten Blick verrät, daß das Hauptziel die Repräsentation ist. Die Details des Planes beweisen eine fachlich technische Gewandtheit von ungewöhnlichem Niveau.

Schon das Ölgemälde zeigt ein durch Waldrodung erweitertes Parterre. Diese Erweiterung war keine einfache gartenkünstlerische Aufgabe, denn in Süttör liefen die Blickachsen direkt auf das Schloß zu. Die sich daraus ergebende Trapezform des Parterres war einfallsreich und neuartig.

Beim Vewirklichen des Ensembles strebten die Gestalter eine ebenso eindeutige wie einfach zu verwirklichende Repräsentation an und kümmerten sich nicht darum, das zwischen den - sich nur mit den Ecken berührenden Gebäuden - keine innere Verbindung bestand. Der unwissende Besucher wurde dieses "frommen Betrugs" nicht gewahr.

Der Planer schuf mit den Nebengebäuden - Kavaliershäuser, Ställe, Scheunen, Wassertürme, Gewächshäuser usw. - einen seitlich vor dem Hauptgebäude vorgezogenen, räumlich wirksamen, konkaven Raum und nutzte die - räumlich gut begrenzten - gärtnerischen Nutzflächen sehr gut zur besseren Wirkung der Komposition.

Das Schloß umfängt 1764-1765 den Cour d'honneur in einer geschlossenen Hufeisenform.

Nikolaus erbte von seinem Bruder nicht nur die Güter des Fürstentums, sondern auch dessen Künstler und Fachleute. Unter diesen ist als erster Josef HAYDN zu nennen, der bis zum Tode von Nikolaus (1790) in dessen Diensten stand. Das für Planen und Bauen verantwortliche Faktotum war Nikolaus JACOBY, der vorher - neben vielen Bauten - unter anderem den Tiergarten von Eisenstadt geplant hatte. Er war Franzose, seine engere Heimat war Sarreguemines. LE BON war ein sehr vielseitiger Künstler, hervorragender Bühnengestalter, Perspektivenzeichner, Johann Ferdinand MÖDLHAMMER war kein fürstlicher Bediensteter, aber er hat viele P1äne und Kostenvoranschläge als k.u.k. Artillerie Fortiflcations- und hochfürstlicher Baumeister verfaßt. Die Gärtner waren F. ZINNER, HAMERLY und M. PÖLT (letzterer seit 1775). Der Bauschreiber war Anton KÜHNEL (er diente den Esterházy seit 1743).

Während der weisen Regierung von Maria Thersia entwickelten sich - trotz der Kriege - die Länder der Monarchie wirtschaftlich stark, die Königin sicherte Frieden und Wohlstand für Ungarn. Die Erinnerung an diese Epoche lebt in einem bekannten Spruch weiter "Extra Hungariam non est vita, si est vita, non est ita."

Die Herrscherin besuchte gerne die Güter und Schlösser des Hochadels; sie und ihre Ratgeber wandten alle Mittel an, den Hochadel zum Bauen von Schlössern zu bewegen. Solange die Adeligen das taten, gründeten sie keine Manufakturen und störten damit nicht die zentrale Wirtschaftspolitik des Reiches. Die Hochadeligen waren bemüht die Gunst der "guten Kaiserin", wie sie die ungarischen Bauern nannten, zu erlangen.

Auch Nikolaus ESTERHAZY bemühte sich. sein zu dieser Zeit schon Esterháza genanntes Schloß für einen Besuch der Königin würdig auszugestalten. Mit ihrem Sohn, dem späteren Joseph II, ist sie 1770 nach Kittsee gekommen. das bedeutet wahrscheiněich, daß Esterhaza noch nicht fertig war.

Nach dem Erreichen des auf dem "laviert" genannten Plan dargestellten Zustandes war das Schloß - vor allem vom cour d'honneur aus gesehen - nicht großzügig, ruhig und "majestätisch" genug. Die Fassaden, hauptsächlich die des Hauptgebäudes, waren zu sehr zerstückelt und unruhig. Vor das Hauptgebäude wird deswegen auf der Hofseite in zwei Etappen ein neuer Trakt gebaut, mit einer dekorativen Freitreppe. In der ersten Etappe nahm auch Melchior HEFELE teil. der in den zentralen Risalit eine innere Treppe plant, wodurch der Risalit in den Hof vorgezogen wurde. Bei den späteren Umbauten blieb von den von ihm geplanten Teilen sehr wenig übrig und auch das ist eigentlich nur von den "Innenhöfen" aus zu sehen. Das Stadium des Schloßbaues, in den ringsum Mansarden errichtet wurden - im zentralen Trakt mit einer "Babilon-Kuppel" (von "Pavillon") bedeckt - wurde wahrscheinlich 1770 abgeschlossen. Mit großem Baueifer wurden seitlich von der Gartenfassade (vor den Kavaliershäusern) rechts (vom Hauptbau aus gesehen) ein Theater und links ein Marionettentheater mit den dazugehörenden Nebenbauten errichtet. Aus dem Garten verschwanden teilweise die Lauben, die räumliche Funktion übernahmen die schon früher gepflanzten Kastanien. Es werden immer mehr Wassertürme, Brunnen und Fontänen gebaut, das Parterre zieren Vasen und Statuen.

4.6 Vierte Bauphase

1772, zur Zeit des Besuchs des Fürsten Rohan, hielt Nikolaus die "Generalprobe" zur Vorbereitung des Besuchs Ihro Majestät der Kaiserin im Jahre 1773 ab.

Nach dem Ende des mehrere Tage dauernden "Festins" des Kaiserin Familiebesuchs - 1775 - wurde die Kuppel und damit die ganze Mansarden-Etage des Schlosses abgerissen. Nach den sich auf den folgenden Umbau beziehenden Urkunden war dieser im wesentlichen 1778 abgeschlossen. Auf der rechten und linken Seite der Seitenflügel, in den Kammergärten, entstand je ein - quer zu den Hauptflügeln liegendes - ebenerdiges Gebäude mit je zwei kleinen Türmen (Bildergalerie und Wintergarten). Die Ausbildung der Fassaden des "neuen" Schlosses weicht von dem vorhergehenden Zustand wesentlich ab. Der Grundriß des Gartens wird bedeutend vereinfacht; ein ansehnlicher Teil des Parkwaldes wird - noch in waldartiger Form - dem Parterre und dessen Nutzung angegliedert; dieser Teil wird vom Tiergarten abgegrenzt. In die Alleen werden Weinreben gepflanzt, auf die Lichtungen kommen Tempel, Bassins, Fontänen, in die Laubwände werden Nischen eingeschnitten und in diese Statuen gestellt. Durch Öffnungen in den Alleen gelangt man in das Innere der Bosketts und - auf "nach englischer Art" geschwungenen Wegen auf malerisch gestaltete Lichtungen.

Während dieses zweiten Abschnittes der vierten Bauperiode wird annähernd der endgültige Zustand erreicht. Als 1778 der Umbau als abgeschlossen angesehen werden konnte, geht Jacoby in Pension. Einige Jahre vorher trat der neue Obergärtner Matthias PÖLT seinen Dienst an, der die jährlich für die Pflege des Gartens erforderlichen Beträge erhöhen kann. Es werden große Summen zur Einrichtung des Wintergartens verwendet.

Die baulichen Aufgaben übernehmen der Ingenieur STÖGER und der Hoftischler HAUNOLD. In kurzer Zeit erhalten sie eine große Aufgabe: das Theater brennt 1779 ab - und gemăß der Anordnung des Fürsten - muß das neue Haus im nächsten Jahr benutzbar sein. Dieses Theater oder Opernhaus wurde bedeutend größer als das ursprüngliche, deswegen reichte der alte Bauplatz nicht aus, es wurde in Richtung des Waldes vorgeschoben. Symmetrisch dazu entstand kein Gebäude, deswegen war das Gleichgewicht des Raumes gestört.

Als der pensionierte JACOBY damit beauftragt wurde, die Grundrisse und Ansichten der Anlagen zur Berchreibung des Schlosses aufzuzeichnen, gab er dem Maler die Anweisung, gegenüber dem Opernhaus - dessen Fassade, da sie noch nicht fertig war, nach seiner Vorstellung wiedergegeben wurde - ein ähnliches Gebäude darzustellen. Dieses wurde in Wirklichkeit nie gebaut, es bestand nur das heute noch vorhandene kleinere Marionettentheater.

Mit dem Bau des neuen Opernhauses verbunden, entwickelte sich ein sehr interessanter Streit um das Urheberrecht zwischen Stöger und Haunold. Beide behaupteten, Entwerfer des neuen Hauses zu sein. Fürst Nikolaus übertrug die Klärung der Angelegenheit 1782 einem Sachverständigen (MOLLNER, Fortifications- und Bürgerlicher Baumeister zu Wien}. Aus der Tatsache, daß es zum Bericht des Sachverständigen gekommen ist, geht dreierlei hervor:

1. Fürst Nikolaus betrachtet sich selbst nicht als Gestalter des neuen Gebäudes.

2. Die dem Jacoby unterstellt gewesenen Mitarbeiter (Stöger und Haunold) konnten - ungeachtet ihrer Ausbildung - ein Opernhaus von einem so hohen Niveau entwerfen, daß es

3. von dem Kunsthistoriker Paul VOIT dem Niveau HEFELES entsprechend eingeschätzt und diesem zugeschrieben werden konnte.

Nach der Fertigstellung des neuen Parterres wurde an dessen rechter Seite, vom Opernhaus ausgehend, eine Reihe von Gebäuden - Gasthaus, Kaffeehaus, und andere - als eine signifikante Raumbegrenzung errichtet. Auf der gegenüberliegenden Seite fehlten leider die entsprechenden Gebäude.

In den Achtzigerjahren wurden um den halbkreisfönnig in den Wald ragenden Teil des Parterres in symmetrischer Anordnung Kaskaden mit Grotten, Wasserbecken, Fantänen und den dazugehörigen Brunnen, Reservoirs und Schöpfwerken gebaut. Bei dem Bau war BREQUIN beteiligt, der auch bei der Entwicklung der kaiserlichen Schloßgärten in Wien tätig war.

Der nahezu drei Jahrzehnte dauernde Bau des Schloß-Ensembles nahm Arbeitskraft, Zugtiere und Transportmittel der Leibeigenen und der Meierhöfe so sehr in Anspruch, daß die Leibeigenen sozusagen ganz zugrunde gingen (es gab Revolten), die Meierhöfe hatten sich mit der Landwirtschaft nur nebenbei beschäftigt, ihre Hauptaufgabe war der Schloßbau.

Der Park wurde zunächst mit Holzplanken in mehreren km Länge eingezäunt. Die gespaltenen Baumstämme mußten 3-4 m lang sein, damit auch bei Schneeverwehungen das Rotwild den Zaun nicht überspringen konnte. Für diesen Zaun, für das Brennen von vielen Millionen Ziegeln, von unzähligen Zentnern Kalk war unermeßlich viel Holz notwendig. Auch als für den Bau keine Ziegel mehr erforderlich waren, blieben die Ziegeleien weiter in Betrieb, denn nun wurde anstelle der Planke eine starke, hohe Mauer aus Ziegeln rings um den Park gebaut. Als das Schloß mit den 300 größeren und kleineren Räumen, mit den unzähligen Nebengebäuden (Wohnungen der Musikanten, Sänger, Schauspieler, Gästehaus, das Opernhaus, das Marionettentheater, die Lauerburg, der Wintergarten und viele andere) fertiggestellt war, benötigte man zum Heizen, hauptsächlich für die sehr großen Kamine, soviel Holz, daß die ohnehin relativ waldarme Gegend anfing, kahl zu werden.

Die Förster schrieben ernsthafte Mahnungen und lehnten die Verantwortung ab. Nach dem Tode von Maria Theresia 1780 führt Fürst Nikolaus, der den Reformbestrebungen Josefs II. abgeneigt war, die Weiterentwikklung von Eszterháza im barocken Sinne fort. Er widmet sehr große Summen dem Schloßensemble und hauptsächlich dem Park. Obwohl Maria Theresia schon gestorben war, blieb er weiterhin seinem alten Spruch treu: "Was sich die Kaiserin leisten kann, kann ich mir auch leisten".

Aus Holland werden noch in den Achtzigerjahren jährlich große Mengen Blumenzwiebel für dekorative Anpflanzungen eingeführt.

Nach dem Tode von Nikolaus (1790) ist Eszterhaza noch einmal Schauplatz eines großen "Festins" zur Inauguration seines Nachfolgers. Dieser aber läßt schon nach wenigen Wochen das Werk von Millionenwert wie eine aus der Mode gekommene Perücke liegen und das Ensemble sinkt in einen Dornröschenschlaf, der 120 Jahre andauert. In dieser Zeit verfällt ein großer Teil der Bauten und der Park verwildert. Material von Bassins, von Kaskaden, von der Mauer und anderen Bauwerken wird allmählich gestohlen und verschleppt. Die Nachfahren übersiedeln nach Eisenstadt und dort wird anstelle eines barocken ein Landschaftlicher Park angelegt. Die landschaftlichen Gegebenheiten von Eisenstadt waren dafür wesentlich besser geeignet als die von Eszterháza.