Gerhard J: Winkler

Das "Esterházysche Feenreich". Musik und Theater am Esterházischen Hof (1995)

(Részletek)

IV.

Paull. Anton (1711-1762) widmete sich nach seinem Antritt als Majoratsherr 1734 zunächst längere Zeit seiner Karriere in kaiserlichem Dienst, wo er an verschiedenen Feldzügen teilnahm und es bis zur Ernennung zum Geheimen Rat (1739) und zum Feldmarschall-Lieutnant (1747) brachte. 1750 wurdc er Ritter vom Goldenen Vließ und österreichischer Botschafter in Neapel, und als General der Kavallerie und Fcldmarschall zeichnete er sich schließlich sogar auch in den erstcn Jahren des Siebenjährigen Kriegs aus. Paul Anton, der seit seincr Jugendzeit ein besonderes Interesse für die Musik bewies, hegte den Plan, Eiscnstadt zu einem musikalischen Zentrum zu machen, das den Vergleich mit anderen europäischen Fürstenhöfen nicht zu scheuen brauchte. Aus seincn Botschafterjahrrn in Neapel brachte Paul Anton seine Vorliebe für den modernen italienischen Geschmack mit, die z.B. 1757 zur Anstellung des späteren ersten Violinistrn und langjährigen Haydn-Freunds Luigi Tomasini führte, den er auf einer seiner Reiscn kennengelernt hatte. Die bisherige kompositorische Ausrichtung des inzwischen gealterten Kapellmeisters Werner erschien dem Fürstcn offenbar als zu einseitig, sodaß es zu seiner musikgeschichtlich wohl folgenreichsten Entscheidung kam: Am 1. Mai 1761 wurde im Zuge einer Umstrukturierung der Hofkapelle der junge Joseph Haydn - übrigens gleich mit dem anderthalbfachem Gehalt des um 30 Jahre dienstälteren Werner - als Vizekapellmeister angestellt, der ab nun für den weltlichen Aufgabenteil der Hofkapelle zuständig sein sollte, während Werner Leiter der Kirchenmusik blieb. Haydn hatte sich in Wien mit Instrumentalmusik im neuesten Geschmack, als Komponist eines deutschen Singspiels und beim Grafen Morzin als fähiger Orchesterleiter bereits einen Namen gemacht; seine auch späterhin unfehlbare Zielgruppen-Treffsicherheit bewies Haydn gleich mit jenen Kompositionen, mit der er sich sozusagen zum Anstellungsgespräch im Wiener Fürstlichen Palais präsentierte, drei ganz nach modernstem italienischen Vorbild gehaltenen Sinfonien (den sog. ,,Tageszeiten-Sinfonien": Le matin, Le midi, Le soir, nach der späteren Zählung Nr. 6-8). Schon bald nach seiner Anstellung hatte Haydn die Initiative bei der Reorganisation der Hofkapelle übernommen, die er im Laufe der Jahre zu einem überragenden Klangkörper formte. Das dienstliche Verhältnis zum nach und nach verbitterten Gregor Joseph Werner, seinem unmittelbaren Vorgesetzten, blieb bis zu dessen Tod 1766 äußerst getrübt. Paul II. Anton, der völlig unerwartet am 18. März 1762 starb, kam nicht mehr dazu, seine großen PIäne zu verwirklichen. Dies war seinem jüngeren Bruder und Nachfolger Nikolaus I, (dem ,,Prachtliebenden", 1714-1790) vorbehalten, der gewissermaßen, was Haydn betrifft, auch die gesamten musikgeschichtlichen Lorbeeren einheimste. Der wesentliche Akzent, den Nikolaus

in seiner Regierungszeit allerdings setzte, war die märchenhafte Sommerresidenz Eszterháza, die er am sumpfigen Südufer des Neusiedlersees an der Stelle eines Jagdschlößchens errichtete, das schon sein Onkel Michael erbaut hatte. Dieses spätbarocke Residenzschloß, das bereits in den späten Sechzigerjahren bezugsfertig war, wurde ab nun zum Brennpunkt der legendären Esterházyschen Prachtentfaltung. Einer der Höhepunkte der Esterházyschen Hofhaltung stellte zweifellos der Besuch Maria Theresias Anfang September 1773 auf Eszterháza dar, für die Fürst Nikolaus nach bewährtem Muster ein mehrtägiges Fest ausrichtete, welches das anfangs erwähnte Vermählungsfest für die Hochzeit seines Sohnes in Eisenstadt zehn Jahre zuvor um Dimensionen überflügelte. Der Fürst bereitete den Empfang der Herrscherin mit größter Sorgfalt vor. Ein eigens gedruckter Bericht, die ,,Relation dés fétes données á Sa Majesté L'Imperatrice par S.A. Mgr Le Prince d'Esterházy Dans son Château d'Esterhaz", unterrichtet uns in französischer Sprache über die Abfolge der Ereignisse:

Nach dem Festmahl, der Parkbesichtigung und der Vorführung der Oper "L'infedeltá delusa" des Kapellmeisters Joseph Haydn im Opernhaus am ersten Tage zeigte der Fürst während der Pause des bis in die Morgenstunden dauernden Maskenballes dem hohen Gast seine neue Sehenswürdigkeit: Das Chinesische Lusthaus im Park scheint in diesem Jahre vollendet worden zu sein, da es erstmalig in der Beschreibung der zu Ehren von Maria Theresia veranstalteten Festlichkeiten erwähnt wird. Die mit Riesenspiegeln bedeckten Wände warfen, gleich einem Flammenmeer, das Licht der unzähligen Lampions und Kerzenlüster zurück. Die fürstliche Musikkapelle spielte unter der Leitung Joseph Haydns eine Symphonie und einige andere Stücke. Der Maskenball selber fand in dem beinahe vierzig Meter langen Chinesischen Redoutensaal neben dem Opernhaus statt: Elf Lüster mit sechshundert Kerzen spendeten feenhaftes Licht. Die Veranstaltung folgte der damals in den Kreisen des Hochadels beliebten Chinoiserie-Mode: Überall prangten chinesische Dekorationen; auch die Musikanten waren in chinesische Festgewänder gekleidet. Am zweiten Tag wurde das neue Marionettentheater besichtigt, das vermutlich auch erst mit diesem Anlaß eingeweiht wurde und ebenso wie das (schon seit 1768 eröffnete) Opernhaus als sehr geräumig geschildert wird.

 

Prunkstück von Eszterháza aber war das Opernhaus, ein freistehendes Gebäude an der Westseite des französischen Gartens der Schloßanlage. Es war 20 Meter breit und 60 Meter lang. Der Innenraum war in Foyer, Zuschauerraum, Bühnenraum (die Bühne war 8 Meter breit, ebenso hoch und nahezu 18 Meter tief) und Garderoben unterteilt. Aus dem verhältnismäßig kleinen Foyer führten an beiden Seiten Treppen zur fürstlichen Loge mit ovalem Grundriß in der Mitte des ersten Geschoßes, die über die Seitengalerien mit den beiden Proszeniumslogen in Verbindung war. In der Nähe der Logen standen den Gästen Zimmer zur Verfügung, die mit Sofas, Spiegeln, Uhren usw. reich ausgestattet waren.

A propos "Mäzene": Noch heute kursieren hinsichtlich der Stellung Haydns am Esterházyschen Hof in der musikliebenden Öffentlichkeit einige historisch schiefe Vorstellungen:

Einerseits pflegt man, wenn man Haydns Dienstvertrag mit seinem hierarchisch-strikten Reglement den Fürstlichen Dienst betreffend liest, Haydn für die engen Grenzen seiner Stellung innerhäib des Fürstlichen Hofstaats zu bedauern. Andererseits werden die Fürsten Esterházy gerade auch am Beispiel Haydns gerne als "Mäzene" und "Förderer der Künste" bezeichnet. Zwischen diesen beiden Fakten ergibt sich nur dann ein sachlicher Widerspruch, wenn man auf der einen Seite vom Bild des emanzipierten Künstlers des 19. Jahrhunderts und auf der anderen vom modernen Sponsoring des 20. ausgeht. Daß die Musikgeschichte den Esterházy einiges zu verdanken hat, ist hinsichtlich des historischen Resultats unbestritten, stellt aber kein Ursprungsmotiv dar: Nikolaus I. mochte sich den exorbitanten Luxus einer Hofkapelle und eigenen Operntruppe auch deshalb leisten, weil er "bei sich zuhause" gute Musik hören wollte; er leistete sie sich wohl aber vor allem deswegen, weil sie zur Hofhaltung seines Stils, d.h. zu seiner eigenen Repräsentation, gehörten. Haydn wurde von Nikolaus nicht um der Musik willen, die er komponierte, ,,gefördert", sondern einige Male über sein ,,offizielles" Gehalt hinaus mit Sondergratifikationen bedacht, weil er die Funktion, für die er angestellt und bezahlt wurde, zur vollen Zufriedenheit seines Dienstherrn erfüllte. Daß auf diese Weise unter des Fürsten Augen mit Haydn ein musikhistorisches Phänomen ersten Ranges hervorgebracht wurde, lag nicht nur nicht in der Absicht, sondern auch gänzlich außerhalb der Vorstellungswelt des Fürsten. Haydn war Angestellter, Dienstnehmer des Fürsten. Will man seiner Funktion innerhalb des Fürstlichen Hofstaats mit einer modernen Analogie näherkommen, so müßte man sagen, Haydn sei mittlere Führungskraft in einem Verwaltungs- und Beamtenapparat gewesen, ,,Abteilungsleiter" der Hofkapelle, einer Sektion des ,,Hofstaats", deren Dienstleistungsfunktion sich allerdings auf einen ganz engen Aufgabenkreis konzentrierte: das ,,divertissement" des Fürsten und seine Repräsentation nach außen. In seiner Tätigkeit hatte Haydn nicht nur alle sachlichen Dienstverrichtungen wahrzunehmen, sondern z.B. Personalfragen seiner Kapelle zu klären, im Streit zweier Kapellmitglieder zu vermitteln oder als Dienstinstanz einzuschreiten usw. Die wichtigen biographischen Dokumcnte aus Haydns Dienstzeit, die der modernen Haydn-Forschung zur Verfügung stehen, die ,,Acta musicalia" aus der Budapester Nationalbibliothek Széchenyi, sind Esterházysche Aktenstücke: Hier lernt man Haydn kennen, wie er den Erhalt von Notenpapier quittiert, die Kopiatur einer Oper oder die Reparatur eines Instruments in Auftrag gibt usw. Sein späterer Biograph Griesinger gibt Haydns Erinnerung aus dieser Zeit folgendermaßen wieder:

,,Fürst Nicolaus Esterházy war ein geschmackvoller Kenner und leidenschaftlicher Liebhaber der Tonkunst, auch ein guter Violinspieler. Er hatte eine eigene Oper, Komödie, ein Marionetten-Theater, Kirchen- und Kammer-Musik. Haydn hatte die Hände voll zu thun: er Komponirte er mußte alle Musiken dirigiren, alles einstudiren helfen, Unterricht geben, sogar sein Klavier im Orchester selbst stimmen. Er verwunderte sich öfters, wie es ihm möglich gewesen sei so vieles zu schreiben, da er so manche Stunden durch mechanische Arbeiten verlieren mußte."

Die darauf folgende Aufzählung der während der Esterházyschen Jahre komponierten Werke mutet auf den ersten Blick für das heutige Verständnis etwas eigenwillig an: ,,163 Stücke auf das Bariton, das Lieblingsinstrument des Fürsten", dann folgen Messen und Kirchenkompositionen, dann einzeln mit Titel aufgezählt die iralienischen Opern, und zum Schluß erst die ,,vielen Trios, Quartetten, Liedern, Konzerten und Symphonieen". Haydn geht hier - so wird diese Reihung plausibel - zunächst von den musikalischen Kategorien aus, die für seinen Esterházyschen Dienst bindend waren, und kommt am Schluß zu jenen Kompositionen, mit denen er außerhalb des dienstlichen Aufgabenfeldes einem bürgerlichen Publikum hauptsächlich bekannt geworden ist. Im höfisch-barocken Umfeld pflegte die Musikausübung nach ihrer Funktion in drei Kategorien gegliedert zu sein: Musik fiir die ,,Kammer", Musik für die Kirche, Musik für das Theater. Alle drei Stilarten wurden am Hof Nikolaus' gepflegt; für alle drei Bereiche war nach dem Tod Werners eine einzige Person zuständig, Joseph Haydn, dessen Werke sich nach folgenden Kriterien gliedern lassen:

1. Musik für die Fürstliche ,,Kammer": Den innersten Zirkel von Haydns Esterházy-Kompositionen repräsentieren zweifellos die etwa 170 Baryton-Divertimenti, der überwiegende Teil davon Trios (Violine, Viola, Baryton), geschrieben zwischen 1765 und 1775 und aufgeführt im intimsten Zirkel mit dem Fürsten selbst an seinem Lieblingsinstrument, dem Baryton, einer Tenorgambenart, die heute nicht mehr existiert.

Haydns Manuskripte wurden in drei goldverzierten Lederbänden gebunden; das originale Instrument des Fürsten wird heute noch im Ungarischcn Nationalmuseum aufbewahrt. Zur ,,Kammer"-Musik gehörten aber nach damaligem Verständnis auch die orchestrale Instrumentalmusik für den Innenraum, also Haydns Simfonien, die wiederum in mehrere Genres zu gliedern, je nachdem ob sie zur intellektuellen Ergötzung odcr privaten Meditation des Fürsten, oder zur äußeren Repräsentation bei festlichen Anlässen usw. bestimmt sind.

2. Musik für die Kirche: Nach dem Tod Werners auch für die Kirchenmusik zuständig - sein Organistendienst wurde zusätzlich mit einem Dienstvertrag von 1779 geregelt -, komponierte Haydn ab 1766 einige zu repräsentativen Gottesdiensten in der Schloßkircbe bestimmte großc Messen, kleinere Kirchenmusik und ein Oratorium (das Stabat Mater, mit dem Haydn 1767 Werners Karfreitagsmusiken fortsetzte).

3. Musik für das Theater: Zwischen 1763 und 1783 komponierte Haydn dem damaligen herrschenden Geschmack entsprechend 12 repräsentative Opernwerke (10 davon, die in der Mehrheit den Umfang des Mozartschcn ''Don Giovanni" haben, für das Eszterházaer Theater) und mehrere musikalische Komödien in italienischer Sprache. Daneben komponierte Haydn auch deutsche Singspiele für das Eszterházaer Marionettentheater

Haydn schrieb:

"Mein Fürst war mit allen meinen Arbeiten zufrieden, ich erhielt Beyfall, ich konnte als Chef eines Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt, und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen; ich war von derWelt abgesondert, Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen und quälen, und so mußte ich original werden."