Franz Prost

Die Gärten der Fürsten Esterházy (1995)

(Részletek)

 

Gärten sind Entwürfe einer idealen menschlichen Ordnung, ausgedrückt sowohl in rückwärts gewandter Sehnsucht nach dem goldenen Zeitalter, als uch als utopische Wunschbilder in die Zukunft gerichtet. Das Wort ,,Paradies" hat seinen Ursprung im griehischen ,,paradeisos" einer Verballhornung des altiranischen Wortes "pairi d'aeza", welches, genauso wie das germanische Wort Garten, ,,das umfriedete" bedeutet. Das Parardiesische Leben konnte man sich seit altersher nur in Gärten vorstellen. Deshalb träumen sich die Menschen aus Gären zu stammen, wünschen sich in Gärten zu lieben, sich mit Gärten zu trösten und in Gärten begraben zu werden.

Ein entscheidendes Moment der [Gärten ist die Verbindung mit der Natur, die aber über die Kunst hergestellt werden muß, denn erst in der Sphäre der Kunst wird die Natur schön und harmonisch und nicht steinig und spröde wie das zu bearbeitende Land oder unwegsam und gefährlich wie die Wildnis. Gärten sind Spiegelbild und Gegenwelt in einem. Sie werfen stets ein Licht auf die historische Wirklichkeit und üben Kritik an den konkreten politischen, sozialen und wirtschaftlichen umständen (siehe heutige Ökogärten). Gärten haben Geschichte und Schicksal, sie wachsen und vergehen sehr leicht, denn sie gehören zu den ephemersten Werken der menschlichen Kultur.

Wie Seismographen zeigen Gärten unsere Empfindsamkeit überliefertem Kulturgut gegenüber. Schon im Ursprung der GartenkuItur sind neben Nutz- auch Ziergärten bezeugt. Seit der Zeit der Renaissance sind Gärten in Europa fester Bestandteil feudaler Repräsentation. Die ursprünglich mitteladetige Familie Esterházy, aus Galántha in Oberungam (heute Slowakei) stammend schaffte im Verlauf des 17. Jahrhunderts einen bemerkenswerten gesellschaftlichen Aufstieg und brachte ihre Mitglieder in die höchsten politischen und militärischen Positionen des Habsburgerreiches. Unmittelbar damit verbunden war auch eine beträchtliche Besitz- und Vermögensvermehrung, die diese Familie zu den reichsten und einflußreichsten der Monarchie machte.Von Anfang an war die Gartenkunst gleichwertiger Bestandteil des kulturellen Mäzenatentums. ja sie rückte in bestimmten Epochen sogar in den Mittelpunkt des Interesses. Während Fürst Nikolaus I. Esterházy (1714 - 1790) mit Eszterháza, dem neben Schönbrunn bedeutendsten Rokokogarten des alten Österreich, seine eigene Apotheose inszeniert hatte, konnte sich Fürst Nikolaus II. Esterházy (1765-1833) mehrerer bedeutender Gärten wie Eisenstadt, Wien-Landstraße (von 1785-1810) Wien-Mariahilf (1815- 1868), Pottendorf und des Inselgartens Mainau im Bodensee (1827-1853) rühmen.

 

Der Ursprung von Schloß und Park Eszterháza zu Fertőd in Ungarn war ein zum Dorf und Gutsbesitz von "Söjtör" (= Süttör, heute Fertőd) gehörender, vom Neusiedler See und dem Sumpfgebiet des Hanság (Waasen) begrenzter, wildreicher Eichcnwald. Unmittelbar am Rande des Sumpfes ließ die Familie Kanizsai ein Jagdschloß errichten. Von diesem Schloß ausgehend, wurden zwei im rechten Winkcl zueinander stehende Schneisen in den Wald geschlagen. Eine davon wies in südlichcr Richtung auf die Kirche von Fertőszentmiklós und die andere in westlicher Richtung auf die Kirche von Széplak. Diese beiden Schneisen sind der Ursprung der Hauptachsen der Parkanlage von Eszterháza.

Der Besitz fiel 1533 durch Heirat an dic· Familie Nádasdy, die das Jagdschloß im Renaissancestil ausbauen ließ. Im Jahre 1671 wurde Franz Nádasdy wegen seiner Teilnahme an der Magnatenverschwörung hingerichtet, und seine Besitzungen wurden eingezogen. Den größten Teil davon übernahm sein Schwager, der Palatin von Ungarn, Paul Esterházy, darunter auch das Gut Süttör welches er aber verpfändete. Erst 1719 löste Graf Joseph Esterházy (1721 Fürst) das Pfand aus und erteilte 1720 dem Baumeister A. E. Martinelli dcn Auftrag zum umbau des Schlosses. Fürst Joseph verstarb jedoch schon im gleichen Jahr und die Bauarbeiten wurden für vierzig Jahre unterbrochen. Erst Graf Nikolaus, der jüngere Bruder des Fürsten Paul Anton, begann ab 1754 mit der Anlage eines barocken Gartens, dessen Pläne möglicherweise von Anton Zinner, dem Obergärtner des Prinzen Eugen, stammten. Fürst Paul Anton starb überraschend 1762, und Nikolaus wurde Fürst und Majoratsherr und war damit in der Lage, seine ehrgeizigen Pläne für Süttör zu verwirklichen

Fürst Nikolaus I. war reich und ein typischer Vertreter des Rakokozeitalters, als "Prachrliibender" lebte er in jener Märchenwelt von Jagden, Gartenfesten, Bällen, Opern und Theateraufführungen, entsprechend dem Satz, welcher auf der Fassade des Theaters in Eszterhjza zu lesen war: ,,Es soll jeder wissen - die ganzc Welt ist eine Komödie." Des Fürsten Hofhaltung war überaus aufwendig und kostspielig. Eine Leibgarde, deren Wachablöse mit Musikbegleitung durchgeführt wurde, gehörte ebenso dazu, wie die Musikkapelle, deren Leitung Joseph Haydn innehatte. Häufig wurden für Theater- und Opernaufführungen Schauspielergesellschaften für die Dauer eines ganzen Jahres engagiert. Fürst Nikolaus baute ab 1764 Süttör (oder Eszterháza, wie es ab 1765 genannt wurde) getreu seinem Motto ,,Was der Kaiser kann, das kann ich auch", zu einer prunkvollen Residenz aus.

Am beginn stand die auf Martinelli zurückgehende Schloßanlage, die mit dem Zentralbau, den beide aus einem Stall und einem Wagenschuppen hervorgegangenen ,,Lusthäusern" und einer hogenförmigen Mauer einen hufeisenförmigen Ehrenhof (cour d'honneur) bildeten. Ein von einem unbekannten Künstler stammendes Gemälde zeigt im Hintergrund des Schloßkomplexes einc Parterreanlage, die von drei strahlenförmig vom Schloß ausgehenden Achsen (patte d'oie) dominiert wird. Im Jahr 1784 war jenes Rokokoensemble vollendet, das von den Zeitgenossen das ,,ungarische Versailles"' genannt wurde (fast genau hundert Jahre nach dem großen Vorbild). Mit Ausnahme von Schönbrunn gab es damals im gesamten Habsburgerreich keine Anlage, die sich in Größe, Monumentalität und Ausstattung mit Eszterháza messen konnte.

1784, im Jahr der Fertigstellung, wurde die ,,Beschreibung des hochfürstlichen Schlosses Eszterháza im Königreich Ungarn" veröffentlicht, deren Herausgebcr der Fürst selber war, damit seinem großen Vorbild dem Sonnenkönig folgend, der für Versailles ebenfalls einen "Gartenführer" verfaßt hatte.

In Ungarn herrschte noch die alte kosmologischc Naturauffassung, während anderswo schon längst neuere Principien Platz gegriffen hatten. (In England waren die ersten Landschaftsgärten, der Naturphilosophie Shaftesbury und Popes folgend, bereits am Beginn des 18. Jahrhunderts entstanden.). Der Garten war im Barock- und Rokokozeitaltcr ein eigener "Mikrokosmos", der von der profanen ,,chaotischen" Umgebung isoliert (von einer Mauer umgeben) und abgehoben (Ausstattung des Gartens) war. Ausgangspunkc der Gestaltung war eine Art ,,vorstellender", ,,dramaturgischer" Phantasie der Landschaft gegenüber, im Gegensatz zum Eingehen auf den ,,genius loci" der Landschafts-Gartenbewegung. Natur war im Kontext des Barockgartens die Ordnung der ganzen Welt, der realen wie der übernatürlichen. Diese gedachte Ordnung war ein rationales, abstraktes, streng hierarchisches Denk- und Ordnungssystem, das im Garten durch geometrische Strukturen dargestellt wurde. Der Garten beinhaltete alle Naturelemente der realen Welt (Erde, Steine, Wasser, Luft, Pflanzen) und die wesentlichen mythologischen Elemente der übernatürlichen Wclt (durch seine Statuen und Bauwerke),die den erwähnten Prinzipien unterworfen wurden. Zentrum des Ganzen war die Selbstinszenierung des Gartenmäzens, der sich durch allegorische Naturdarstellungen feiern ließ und dem der Garten quasi ,,zu Füßen" lag. Von ihm ging alles aus und zu ihm kehrte alles zurück (siehe die ,,patte d'oie"-Achsen in Eszterháza). Er war Apoll, Herkules oder Zeus.

Zur Illustration des Parkes von Eszterháza vermag die Beschreibung von 1784 den besten Zugang zu gewähren, vor allem deswegen, wcil heute mit Ausnahme der Hauptachsen und den Resten der Alleen nichts mehr an die einstige Pracht erinnert:

Die Flächenausdehnung der gesamten Anlage betrug dreihundert Hektar in dcr Längsachse - wie einc zeitgenössische Quelle sagt - eine Stunde ,,auf Pferd" hin und zurück. Der Park konnte auch von einem sechsspännigen Wagen befahren werden, aber diese Gunst gewährte der Fürst nur besonderen Gästen. Auch die benachbarte Landschaft war in die Gestaltungen miteinbezogen. Es gab ein zweites Schloß, ,,Mon bijou", und bei der Ortschaft Szentmiklós noch ein zweigeschossiges Jagdhaus. Auch die Umgebung dieser Baulichkeiten war gärtnerisch gestaltet. Die barocke Inszenierung des feudalen Lebens war ohne seine Feste nicht denkbar. Bei diesen Festen spielte der Garten immer die Hauptrolle, besonders berühmt wurdcn jene der Jahre 1772 und 1773. Ersteres wurde von 12. - 16. Juli zum Empfang des französischen Botschafters Prinz von Rohan veranstaltet. Obwohl geistlichen Standes, war der Prinz - in Frankreich durch die berühmt berüchtigte "Halsbandaffäre'' kompromittiert - ein typischer Vertreter jenes leichtsinnigen, verschwenderischen Lebensstiles und gab währcnd seines dreijährigen Aufenthaltes in Wien große Feste und Bälle. Fürst Nikolaus brannte darauf, gerade diesem Vertreter des bewunderten Frankreich zu zeigen, was er vermochte.

Schon 1824 wurde berichtet, daß der Garten vernachlässigt sei und auf dem Rasenparterre Kartoffeln wüchsen. 1869 wurden die Kunstschätze nach Budapest gebracht, und das Schloß wurde für die Wirtschaftsverwaltung verwendet. Das Opernhaus, einst eines der größten und modernsten Europas, diente als Heuboden und Stall. Im Garten hielt man Hunde und Pferde für jagdliche Zwecke. Ein großer Teil der Nebengebäude, das Opernhaus und alle Bauten des Parkes verfielen und wurden nach und nach abgetragen.

Nach mehr als hundert Jahren wählte die Familie Esterházy 1904 Eszterháza neuerlich zur Residenz. Mit der Restaurierung von Schloß und Garten wurde ab 1902 begonnen. Im früher so reich geschmückten Parterre hat man eine Rasenfläche mit kegelförmig geschnittenen Stechfichten, Buchs und Eiben sowie Blumenbeete im Stile des Historismus gepflanzt. Neben dem Schloß entstand ein Landschaftsgarten mit einer interessanten Gehölzsammlung. Im ,,Cour d'honneur" (Ehrenhof) wurden gärtnerische Gestaltungen eingeführt, die dort in der Barockzeit nie existiert hatten.

Nach den Zerstörungen und Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit konnte das Schloß buchstäblich in letzter Minute gerettet werden. Von einem ehemaligen Angestellten der fürstlichen Familie wurde eine Schule und ein Forschungsinstitut für Gartenbau gegründet und im Schloß untergebracht. Nach der gründlichen Restaurierung wurde ein Museum eingerichtet. Von der Schönheit der barocken Gartenanlage vermögen heute nur gut informierte Besucher etwas zu erahnen. Das reich ausgestattete Rokokoparterre ist eine große Rasenfläche mit kegel- und kugelförmig geschnittenen Eiben und Buchsbäumen geworden, die einen steifen und düsteren Eindruck vermitteln. Verschwunden sind die Statuen, die Vasen, die Tempel und die Brunnen. An der Stelle des großen Springbrunnens, "dessen Wassersäule mächtig empor schäumte und die mit mancherley Wohlgerüchen angefüllte Luft mit erquickender Kühlung füllte", ist heute eine Vertiefung in der Rasenfläche zu erkennen. Von der verspielten Heiterkeit der Rokokogestaltung sind keine Spuren geblieben. Für die Restaurierung des Schlosses konnten genügend Mittel aufgebracht werden. Beim Garten, der einst selbstverständlicher, integraler Bestandteil des Rokokoensembles war, ist man, wie so oft, über das Planungsstadium nie hinausgekommen. So wie viele große feudale Gärten geht auch Eszterháza einer ungewissen Zukunft entgegen.